PampelMUSE – pädagogische Konzeption (Teil 1)

Die Geschichte des Hauses beginnt in der Nachkriegszeit. In den späten 1950iger Jahren wurde das stark zerbombte Lutherviertel wieder aufgebaut. Der Bau einer Schule und eines neuen Kindergartens war vom Willen des Volkes beeinflusst, aus dem Dunkel des Krieges „aufzuerstehen“. Von deutschem Volke sollte kein Krieg mehr ausgehen. Aus diesem Grund war die Architektur des Hauses geprägt von Grosszügigkeit in der Raumgestaltung, Fenstern, die Ausblicke gewähren und einem großen Gartengelände.

Es entstand ein Komplex Kindergarten / Schule / Sportgelände. Später wurde eine Kinderkrippe in unmittelbarer Nähe errichtet. Zu Zeiten der DDR war die Pädagogik darauf gerichtet, Kinder zu allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeiten zu bilden und zu erziehen. Der Schwerpunkt im Kindergarten Bernhardstraße 4 lag schon damals auf ästhetischer Bildung.

Mit der politischen Wende 1989/90 vollzog sich ein Profil- und Personalwechsel. Die Idee „Musischer Kindergarten als Alternative“ erforderte Pädagogen, die den unbedingten Willen hatten, Veränderungsprozesse im Haus mit zu gestalten.

Infolge Kündigungen der Stadt Chemnitz übernahm 1995 die Arbeiterwohlfahrt Chemnitz die Trägerschaft über den Kindergarten.  Bis 2009 prägten umfassende Bau- und Rekonstruktionsarbeiten das Bild der Einrichtung. Während der Baumaßnahme 2005 entstanden im Dachgeschoß zusätzlich zu den vorhandenen Räumen eine Galerie, ein Musizierzimmer, ein Personalraum und ein Bewegungsraum. 2009 wurde das Haus trocken gelegt und erhielt einen neuen Putz sowie seinen gelben Farbanstrich.

Im Oktober 2011 wurde das 50-jährige Bestehen der Einrichtung gefeiert.

Es ist nicht einfach, Aussagen darüber zu treffen, was Kinder in der Zukunft brauchen. Wir leben in einer Zeit mit rasanten Entwicklungen im technischen und kommunikativen Bereich. Ein Blick auf die gesellschaftliche Situation erscheint uns dennoch notwendig:

Deutschland ist ein rohstoffarmes Land – die einzig wirkliche Ressource unseres Landes ist die Innovationsfähigkeit der Institutionen und die Kreativität seiner Bürger. Wir sprechen von einer so genannten Wissensgesellschaft. Vor diesem Hintergrund sind sich Erziehungs-wissenschaft und der Gesetzgeber jedoch einig, dass die Aufgabe der Bildungseinrichtungen nicht darin bestehen kann, Wissen rein kognitiv zu vermitteln. Vielmehr gilt es, soziales Lernen stärker in den Blickpunkt zu nehmen, um solidarisch-demokratisches Denken und Handeln zu fördern. Das sind soziale und emotionale Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Lernen mit anderen, Vertrauen zu sich, Mut, Kooperationsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Entdeckerfreude, Wissbegierde, Ausdauer und Kritikfähigkeit.

Niemand kann unmittelbar bewirken, dass Kinder etwas lernen. Kinder werden nicht gebildet, denn sie bilden sich selbst. Das, was sie hierfür brauchen sind eine bildungsanregende Umgebung und ein bestärkender Dialog mit ihren Bezugspersonen. Es bedarf also einer Lernkultur, die in einer vertrauensvollen und zugewandten Atmosphäre die Kinder mit ihren eigenen Erfahrungen und Interessen berücksichtigt und ihnen einen Raum bietet, diese innerhalb eines großen Gemeinwesens anzuwenden bzw. auszuprobieren. Es erfordert auch Eltern und Pädagogen, die gemeinsam die Stärken der Kinder entdecken, sich partnerschaftlich auf Augenhöhe begegnen und die bestmöglichen Bedingungen für Kinder schaffen.

Von Eltern für Kinder verplante Freizeit, Medienkonsum, lange Fahrten zu den Institutionen schränken die Kinder in ihrem Bewegungs- und Begegnungsmöglichkeiten ein. Dadurch werden neugierige, kreative Kinder passiv und inaktiv. Eine innovative und zukunftsorientierte Pädagogik – so verstehen wir unsere Arbeit – muss diese Situation in ihre Arbeit einbinden und eine Balance zwischen Tradition und Innovation herstellen.

Vorüberlegungen
Der Erstellung der Konzeption „Musischer Kindergarten“ gingen Vorüberlegungen voraus,
die aus den Erfahrungen des DDR-Kindergartens, der Auseinandersetzung mit reform-pädagogischen Richtungen und der neuen gesellschaftlichen Situation resultierten.

Mit der Schaffung eines alternativen Modells sollte vornehmlich dem Wunsch der Eltern entsprochen werden, ihre Kinder mit kulturell-ästhetischen Werten vertraut zu machen, um ein eigenes Wertebewusstsein zu entwickeln. Ebenfalls berücksichtigt wurde das Anliegen der alternativen Bewegung in Chemnitz, eine Vielfalt im Kindertagesstättenbereich zu schaffen.

Ziel und Anliegen des Musischen Kindergartens
Im Musischen Kindergarten werden eine Reihe von anerkannten Erziehungszielen für Kindertageseinrichtungen, die in einer sozialpädagogischen Tradition stehen und deren Wurzeln bis in die historischen Ansätze der Kleinkinderziehung reichen, berücksichtigt.

Dazu gehören:

  • Kinder für sozial verantwortliches Handeln zu sensibilisieren
  • ihre Phantasie und Kreativität zu entwickeln
  • ihnen Vertrauen im Umgang mit Werkzeugen und Materialien entgegenzubringen
  • Naturvorgänge erlebbar zu machen
  • Lebenskompetenz zu vermitteln
  • das Kind als Subjekt seiner Entwicklung zu sehen und sein Recht auf freie Entfaltung zu bewahren

Der Musische Kindergarten unterscheidet sich hinsichtlich seiner Zielsetzung von anderen Einrichtungen darin, dass die Musische Erziehung als übergreifendes Arbeitsprinzip verstanden wird. Im Hinblick auf die kognitive und emotionale Entwicklung der Kinder nehmen ästhetische Wahrnehmungsprozesse einen hohen Stellenwert ein. Weit gefasstes Ziel ist es, den Kindern in einer technisierten Welt eine Lebensbasis zu schaffen, um den Tendenzen wie Konsumdenken, Suchtgefährdung, Kunstpassivität entgegenzuwirken.

Kinder wollen lernen
Kinder bringen von Natur aus und von Geburt an eine große Neugier und Wissensdurst mit. Zu lernen ist für die Kinder das Natürlichste und Normalste der Welt. Diese Kompetenz fördern und unterstützen wir. Wir sehen die Kinder als „Akteure“ ihrer Entwicklung, als aktive Wesen, die ihre Welt ganzheitlich erforschen wollen.

Kinder wissen sehr gut abzuschätzen, was sie sich zutrauen können und was sie versuchen möchten. Wir erlauben ihnen, ein gesundes Risiko einzugehen. Sie dürfen Räume allein erkunden, bespielen und entdecken. Ebenso ermöglichen wir ihnen, mit verschiedenen Materialien zu experimentieren und ihrem Forscherdrang freien Lauf zu lassen. Kinder nutzen dies als Herausforderung und können ihr Ziel nur erreichen, wenn sie sich dieser stellen.

Kinder bestimmen die Geschwindigkeit und Tiefe ihrer „Forschungsreise“ selbst. Sie lernen durch ihr aktives und selbst bestimmtes Tun, durch Versuche und Irrtümer. Sie stellen die Fragen, die sie interessieren, binden ihre bisherigen Erfahrungen ein und finden phantasievolle Antworten und Lösungen. Dabei soll die natürliche Wissbegierde und Kreativität der Kinder verwirklicht und ausgelebt werden können.

Wir begleiten und unterstützen die Kinder dabei auf ihren individuellen Entwicklungswegen.

Die Grundlagen des Lernens
Die Kinder haben Neugier, Phantasie und Lebensfreude. Sie nehmen ihre Umgebung mit allen Sinnen wahr:

  • über die fünf Fernsinne (Riechen, Schmecken, Hören, Sehen, Tasten)
  • über die Bewegung
  • über emotionales Wahrnehmen

Jedes Kind nimmt anders wahr.

Kreativität bezieht sich auf die individuellen Wahrnehmungs- und Ausdrucksweisen der Kinder:

Kreativ sein bedeutet, individuelle Wege zu gehen, schöpferische Lösungen zu suchen, Fantasien zu entfalten und eigene Ideen zu entwickeln. Bewegung bedeutet, voran zu kommen und sich zu entwickeln. Über die Bewegung kommen die Kinder in soziale Kontakte, bauen Beziehungen auf, gehen auf die Suche nach Lösungen. Über Bewegungen bekommen sie eine Vorstellung von ihrem eigenen Körper, erspüren Möglichkeiten und Grenzen und lernen ihre eigenen Fähigkeiten einzuschätzen.

Die vorrangige Aktivität der Kinder ist das Spiel.

„ …das Spiel ist ein Prozess, durch den das Kind die Gegebenheiten der Erfahrung miteinander verbindet, um eine neue Realität zu konstruieren, die seiner Neugier und seinen Bedürfnissen entspricht “

Die Erkenntnis, dass sich Kinder von Geburt an selbst bilden, stellt an uns Pädagoginnen hohe Anforderungen. Es gilt herauszufinden, was die Kinder individuell in einer konkreten Lebenssituation dafür brauchen. Daher gehört es zu unseren Aufgaben, genau hinzuschauen, was Kinder konkret tun und welche Bedeutung sie diesem Tun beimessen. Wir stellen uns die Frage, was sie gerade lernen und vor allem wie sie dabei vorgehen.

Auf Grundlage dieser Beobachtungen können wir planen, welche konkrete Unterstützung sie dabei brauchen und wie wir ihnen helfen können, sich auch in anderen Bereichen zu erproben, denen sie sich selbst nicht zuwenden würden. Gemeinsame Gespräche mit Kindern über ihr Tun bestärkt sie zu diesen neuen Herausforderungen. Sie fühlen sich als Person wertgeschätzt und ernst genommen. Das Zutrauen in die Fähigkeiten der Kinder beeinflusst die Beziehung und die Vertrauensebene zu uns nachhaltig positiv.

Durch die gezielte Beobachtung ist es zudem möglich, die Fähigkeiten und Kompetenzen eines einzelnen Kindes sowie dessen Lernfortschritte zu erkennen. Entwicklungsbesonderheiten können so rechtzeitig erkannt werden. Mit Hilfe der Bildungs- und Lerngeschichten als Beobachtungsinstrument dokumentieren wir vor allem für die Kinder deren Lernprozesse in Form eines Briefes. Darüber hinaus dienen die vorangegangenen Beobachtungen als Fundament für den kollegialen Austausch über die Entwicklung des Kindes und für Entwicklungsgespräche mit Eltern.

Jedes Kind hat ein eigenes Portfolio. Dieser Entwicklungshefter gehört allein dem Kind und ist diesem zu jeder Zeit zugänglich.

Wir unterstützen die Kinder darin

  • Vertrauen in ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu bekommen
  • ihre eigenen Ideen vorzustellen und weiter zu entwickeln
  • Solidarität, Toleranz, Verantwortung und Kooperation zu leben und zu lernen
  • ihre Stärken zu entdecken und diese bewusst zu entwickeln
  • ihre Wünsche, Gedanken, Ideen sprachlich auszudrücken

In der Regel besuchen die meisten Kinder unseren Kindergarten bis zum Schuleintritt mehrere Jahre. Es ist spannend zu beobachten, welche Entwicklung sie in dieser Zeit vollziehen. Die Jüngsten, die zu Beginn ihrer Eingewöhnung von älteren Kindern und uns Pädagoginnen besondere Unterstützung erfahren, werden selbstbewusste, aufgeschlossene und neugierige Schulanfänger, die die vielfältigen räumlichen und materiellen Möglichkeiten unseres Hauses und Gartens eigenständig nutzen. Sie sind den Jüngeren Orientierung, Hilfe und Vorbild. Sie erwerben in der gesamten Kindergartenzeit Kompetenzen, die nicht nur für die Schullaufbahn, sondern auch für das spätere Leben von großer Bedeutung sind. Die Vorbereitung auf die Schule beginnt somit schon mit dem Start in den Kindergarten.

Dem letzten Kindergartenjahr widmen wir darüber hinaus besondere Aufmerksamkeit. Es ist uns wichtig, bei den Kindern Neugier und Freude auf die Schule zu wecken und ihnen zu helfen Fähigkeiten zu entwickeln, die für den neuen Lebensabschnitt wichtig sind. Sie sollen lernen, einander zuzuhören, aufeinander einzugehen, ihre eigene Meinung zu vertreten sowie selbständige Entscheidungen treffen zu können und dabei gleichzeitig auf andere Rücksicht zu nehmen.

An einem Wochentag, meist mittwochs, begleiten zwei Pädagoginnen die ältesten Kindergartenkinder bei Erkundungen im und außer Haus. Zu diesem Angebot gehören Experimente, Ausflüge, Museumsbesuche und vieles mehr, was in vorangegangenen Gesprächen das Interesse der Kinder findet.

Besonders beliebt ist auch das  „Schuli-Lesen“. Die verantwortliche Pädagogin wählt dafür Geschichten, die für das Alter und Interesse der Kinder typisch sind. Neben dem Vorlesen kommt es zu Gesprächen über das Gehörte, um den sprachlichen Austausch zu fördern.

 

Der 2. Teil der pädagogischen Konzeption beschäftigt sich mit allen Themen rund um das Haus, die MitarbeiterInnen und die Zusammenarbeit mit den Familien  >>>